12.07.2010

Kaderanalyse 2010/11

Der Kader unseres FC Rot-Weiß wurde im Sommer stärker durcheinandergewirbelt, als sich Verantwortliche und Fans das gewünscht hatten. Mit Spielmacher Thiago Rockenbach da Silva, Kapitän und Sechser Samil Cinaz sowie Sturmjuwel Carsten Kammlott verließen drei absolute Stammspieler den Verein. Während die Abgänge von Rockenbach (nach Düsseldorf) und Cinaz (zum FSV Frankfurt) in die zweite Liga schon länger feststanden, wurde die Öffentlichkeit vom plötzlichen Abgang Kammlotts zum finanzstarken Regionalligisten Red Bull Leipzig mehr als nur überrascht. Angesichts der im Raum stehenden Ablöse von knapp einer Million Euro (einschl. späteren Nachzahlungen) und der auf Grund des Zuschauerrückgangs auch wirtschaftlich verkorksten letzten Saison allerdings die einzig richtige Entscheidung des Vereins. Problematisch: mit Ausnahme des ewigen Talents Christian Beck, der sich zum Oberligisten Greif Torgelow nordostwärts veränderte, konnte der Verein die Spieler, die er loswerden wollte und weiterhin will, noch nicht von der Gehaltsliste streichen. Für Simari, Smisek, Humbert oder Pagenburg fand sich noch kein Abnehmer. Erschwerend kommt hinzu, dass mit Manuel Bölstler, den Bielefeld aus wirtschaftlichen Gründen erst dann verpflichten kann, wenn auch sie ihre Ladenhüter loswerden, ein weiterer Stammspieler Rot-Weiß höchstwahrscheinlich verlassen wird.

Unsere Abwehr stand im letzten Jahr ordentlich, gemeinsam mit Aufsteiger Aue stellten wir die viertbeste Abwehrreihe der Liga. Personell hat sich dort bisher nichts getan, weder Ab- noch Zugänge sind zu vermelden. So dürfte vor Torwart Orlishausen die bewährte Kette mit Hillebrand links, Möckel und Pohl innen und Malura rechts verteidigen. Alternativ steht Ströhl zur Verfügung. Sollte er als Linksverteidiger auflaufen, könnte Hillebrand in die Innenverteidigung rücken. Insgesamt erscheint die Verteidigung etwas dünn besetzt, hinter den genannten fünf Spielern stehen lediglich Akteure für den Notfall zur Verfügung, die keine gelernten Verteidiger sind (Hauswald, Weidlich) oder auf dem neuen Mannschaftsfoto nicht auftauchen und mglw. noch gehen werden (Handke).

Im Mittelfeld erfolgen die größten Umstellungen. Da Trainer Emmerling in seinem System ohne einen Zehner auskommt, wurde Spielmacher Thiago Rockenbach nicht 1:1 ersetzt. Für Cinaz und Bölster kamen Pfingsten-Reddig (als „Offensiv-Sechser“) aus Offenbach und Rudolf Zedi (als „Defensiv-Sechser“) aus Paderborn. Letzterer gehörte zur Aufstiegsmannschaft 2004 und soll der in Erfurt lange vermisste Führungsspieler werden. Auf den Flügeln sollen rechts der superschnelle Neuzugang Weidlich, den auch Hertha BSC verpflichten wollte und links ein noch zu findender Neuzugang wirbeln. Im Bild-Interview von heute nannte Emmerling diese Position als größte Baustelle. Alternativ steht Tino Semmer für die linke offensive Seite zur Verfügung. Mit Stenzel und Hauswald hat Rot-Weiß weitere, flexible Mittelfeldspieler im Kader, die ihre Drittligatauglichkeit nachgewiesen haben und jederzeit ohne größere Anlaufzeit zur Verfügung stehen. Ob der verletzungsanfällige Sebastian Becker nochmal richtig in Erfurt ankommen wird, muss angesichts der erneut zugezogenen Knieverletzung bezweifelt werden.

Im Sturm spielte Carsten Kammlott vergangene Saison oft den Alleinunterhalter. Ohne das Nachwuchstalent wäre der ohnehin schwache RWE-Sturm ein ganz laues Lüftchen gewesen. Pagenburg, Lüttmann oder Smisek enttäuschten auf ganzer Linie, am ehesten zu überzeugen wusste noch die offensive Allzweck-Waffe Tino Semmer. Auch im Sturm muss Stefan Emmerling daher auf seine Neuzugänge vertrauen. Fikri El Haj Ali aus Burghausen (2009/10: 32 Spiele / 6 Tore) und Marcel Reichwein aus Regensburg (Rückrunde 2009/10: 18 / 5) sollen die Tore schießen, konnten bei ihren alten Arbeitgebern aber auch nicht restlos überzeugen. Als Alternative steht mit dem jungen Dominik Drexler ebenfalls ein Neuzugang bereit, er kam aus Leverkusen (25 Spiele, 4 Tore, 6 Vorlagen in der Regionalliga-Mannschaft) und kann auch als Rechtsaußen agieren. Hinzu kommen die eigentlich aussortierten Lüttmann, Smisek und Pagenburg. Vielleicht gelingt ja einem der drei Spieler der verspätete Durchbruch in Erfurt. Eine, zugegeben, vage Hoffnung.

Nach dem (zu hohen) Ziel des Vorjahres geht RWE bewusst ohne konkrete Zielstellung in die neue Saison. Ein einstelliger Tabellenplatz darf es laut Trainer Emmerling aber schon sein. Unrealistisch erscheint das nicht, Aufstiegsträume sind aber fehl am Platze. Dafür ist der Kader, insbesondere im Sturm, qualitativ nicht stark genug besetzt. Wenn man wirklich vorne ein Wörtchen mitreden wollte, müssten alle, aber auch wirklich alle Neuzugänge einschlagen. Und das ist in Erfurt höchst selten passiert. Gespannt darf man sein, ob der Verein die Einnahmen aus dem Kammlott-Transfer sowie die finanziellen Mittel aus dem wahrscheinlichen Bölstler-Abgang in weitere Neuzugänge investiert oder den unverhofften Geldregen nutzt, um die kommende Saison finanziell abzusichern bzw. die Löcher der letzten zu stopfen. Eine klare Aussage des Präsidiums wäre dazu sehr wünschenswert. Im Umfeld gab es zuletzt Irritationen (Hörgl, Nürnberger), das beharrliche Schweigen zu den Gerüchten um die finanziell angespannte Situation des Vereins, befeuern diese aus meiner Sicht unnötig.



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