20.05.2006

Regionalliga Nord 2005/06 - 37. Spieltag (20.05.2006)

SG WATTENSCHEID 09 - FC ROT-WEISS ERFURT 1:5 (0:3)

Dieser Bericht ist meiner Freundin Marion gewidmet, ohne deren Verständnis es diese Fahrt niemals gegeben hätte.

Samstag morgen. Acht Uhr. Der Beverly Hills Cop weckt mich ziemlich unsanft. Der Tag der Entscheidung ist gekommen. Wattenscheid gegen Erfurt. Die oder wir. Der ultimative Kampf um den Klassenerhalt. Die Mutter aller Spiele.

Auf der Fahrt in den Ruhrpott peitscht der stürmische Wind einen Regenschauer nach dem anderen über das Land. Einen Samstagmorgen im Mai stellt man sich anders vor. Doch irgendwie passt dieses graue Wetter, diese düstere Stimmung, zu diesem Spiel. Je näher wir unserem Ziel kommen, umso heftiger wird der Wind. Wir sind nicht die einzigen RWE-Fans, die sich auf den Weg nach Wattenscheid gemacht haben. Kurz vor Soest holen wir die ersten der Fanbusse ein. Und stehen plötzlich. Stau! Ein nervöser Blick zur Uhr folgt. Wieviel Stau können wir uns erlauben? Warum stehen wir eigentlich? Sprengen die unzähligen RWE-Fans die Kapazität der A 44? Nein, ein Laster hat den Kampf gegen die Naturgewalten verloren. Der Sturm hat ihn umgerissen. Der ganze schöne Eistee, der da nun auf der Autobahn liegt. Doch bald geht es weiter. Wir erreichen Dortmund. Überall begegnen wir schon der WM. Transparente. Schilder. Fahnen. Und das Westfalenstadion. Doch an die WM mag ich noch nicht denken. Dortmund und die WM sind die Zukunft. Die Gegenwart heißt Wattenscheid. Und ist gar nicht mehr so weit weg. Kurze Pinkelpause bei Mc Donalds in Dortmund und weiter gehts. Kreuz Bochum. Wattenscheid-West. Und runter von der Autobahn. Der Bochumer Stadtteil schien fest in RWE-Hand. NDH. GTH. UH. EF. Überall vertraute Autokennzeichen. Nun aber ab ins Stadion. Es ist kurz vor halb zwei.

Auf dem Weg ins Stadion sieht man endlich auch mal ein paar 09-Fans. Und zwei Knirpse. Die verkaufen den "09er", das örtliche Stadionmagazin. An dieser Stelle möchte ich mich direkt bei dem netten Herren mittleren Alters bedanken, der mir einfach so den 09er sponsort. "Gebt dem Jungen datt mal aus" sagt er zu den zwei Knirpsen, die die Hefte vertickern, reicht ihnen zwei Euro und drückt mir eines der beiden Hefte in die Hand. Fand ich sehr nett. :-)

Als wir im Gästeblock eintreffen, ist dieser bereits ordentlich gefüllt. Dennoch bin ich mir sicher, dass die ganzen Busladungen noch fehlen. Das sind noch nicht die angekündigten 1000 RWE-Fans hier. Und tatsächlich, der Stadionsprecher verkündet, dass das Spiel 15 Minuten später angepfiffen wird. Die Busse aus Erfurt sind noch nicht da. Apropos Stadionsprecher. Der war irgendwie niedlich. Und eigentlich ganz nett. Mehrfach begrüßte er ganz artig die Gästefans und wünschte ein schönes Spiel (Danke, das hatten wir!). Doch ganz auf der Höhe schien der Mann nicht zu sein. Bei der Verlesung der Namen unserer elf Götter kündigte er unsere Nummer 13 doch tatsächlich als Alexandra Schnetzler an. Konnten wir darüber noch schmunzeln, war dann aber endgültig Schluß mit lustig. Der Kollege mit dem Mikrofon lud uns ein, doch einmal die örtliche Bratwurst zu probieren, die ja "die beste der ganzen Liga" sei. Okay, das kann er den Fans jeder Mannschaft erzählen. Aber doch nicht uns, die wir aus Bratwurst-Country kommen. Jaja, so war er, der Stadionsprecher. Hatte ja dann auch im Spiel nicht viel zu lachen. Ich aber vor dem Match auch nicht. Denn mal ganz ehrlich, ihr lieben 09-Fans. Euer Vereinslied und diese Ruhrpott-Hymne (Zitat: "Bei uns im Ruhrgebiet, von Duisburg bis nach Herne, da sind die Mädchen süß, die küsst man gerne...") erinnern ja ganz schlimm an die Volkstümliche Hitparade oder den Musikantenstadl. Bitte fleißig Schunkeln! Aber wer denkt denn da an Fußball? Gott sei Dank ging dann das Spiel los. Bevor hier noch die Wildecker Herzbuben oder die Original Egerländer aufgespielt hätten...

Im insgesamt recht hübschen Lohrheide-Stadion verloren sich etwa 2500 Zuschauer. Eintausend davon standen im Gästeblock. Der 09-Mob mit den Ultras Wattenscheid hatte sich auf der kleinen Tribüne hinter den Trainerbänken versammelt. Dagegen herrschte auf der schmucken Gegentribüne gähnende Leere. Hier verloren sich nur wenige Fans, um die SG bei diesem Abstiegsendspiel zu unterstützen. Mein Freund, der Stadionsprecher bemerkte dazu treffend: "Wir sind wenige, aber wir sind geil." Sollte man dies wortwörtlich nehmen? Dann bin ich ja froh, weit weg von denen im Gästeblock zu sein... Die 09-Fans hatten ihren größten Auftritt (bei dem späteren Spielverlauf nicht verwunderlich) beim Einlauf der Teams. Mit Hilfe einer netten kleinen Choreo (Staatsmacht der Bremer - charakterlose Schläger) brachten sie vermutlich ihren Unmut über die Bremer Polizei zum Ausdruck. Ich fragte mich, was da letzte Woche wohl vorgefallen war. In den ersten zehn Minuten des Spiels hatte ich auch alle Zeit der Welt zu überlegen. Denn das Match begann ziemlich ruhig. Erst nach neun Minuten die erste Chance für die SG 09, doch an der schönen Hereingabe rutscht Katriniok vorbei.

Und was dann geschah, kann man in Worten eigentlich gar nicht ausdrücken. Es sollte das geilste Auswärtsspiel werden, was ich je erlebt hatte. Schweinfurt, Karlsruhe, Offenbach... Nein, nichts dergleichen hatte ich auf Reisen zuvor gesehen. Zehnte Minute. Eine schöne Flanke von Kumbela köpft die 09-Abwehr genau vor die Füße von Schnetzler. Und Alex ledert den Ball aus 25 Metern flach ins linke Eck. Tooooooooooor! Ein geiler Auftakt. Zehn Minuten später. Pass von Kühne auf David. Der stürmt alleine auf das 09-Tor zu. Schuß. 2:0. Tooooooooor! Zeit für den Stadionsprecher. Der erinnerte die fassungslosen Heimfans daran, was so ein 2:0-Vorsprung wert sein kann (Wattenscheid hatte vor 14 Tagen eine 2:0-Führung gegen die HSV-Reserve noch vergeigt und 2:4 verloren). Deswegen am besten gleich nachlegen. Und da heute einfach alles gelang, klappte auch das. 37. Minute. Foul an Six. Freistoß Kühne von der Strafraumgrenze. Tooooooooooooooor! 3:0. Wieder flach ins linke Eck. In die Torwartecke. Torwartfehler. Scheiß egal. Party. Mit feinster Feuerwerkstechnik feierte die rot-weiße Kurve die Galavorstellung ihrer Jungs. Unvergesslich wurde dieser Fußballnachmittag aber auch durch das Wetter. Die 09er hatten den örtlichen Wettergot mit ihrem laschen Gekicke wohl so erzürnt, dass der erstmal einen Gewittersturm über die Lohrheide schickte. Platzregen. Sturmböen. Blitze. Donner. Es herrschte Endzeitstimmung. Gott sei Dank aber nur auf Seiten der Gastgeber. Denn obwohl wir durch das Unwetter so ziemlich alle durch bis auf die Haut waren, konnte die Stimmung nicht besser sein. Vor der Pause sogar fast noch das 4:0, doch Kumbela nagelt den Ball an die Querlatte.

In der Pause wollten Marion und ich mal die "leckerste Wurst der Liga" probieren, doch da gab es ein Problem. In seiner Begeisterung über seine supertolle Bratwurst hatte der einheimische Bratwurstbrater die Brötchen vergessen. Die waren schon zur Pause alle. Aber mittlerweile war mir heute ja eigentlich alles egal. 3:0. Zur Pause. Nicht zu glauben.

Die zweite Halbzeit ist schnell erzählt. Das Unwetter zog davon. Auf dem Platz stand soviel Wasser wie auf einem indonesischen Reisfeld. Unsere Jungs rackerten hervorragend und überstanden auch eine allerdings relativ harmlose Wattenscheider Druckphase, in deren Höhepunkt Holst einen Ball kurz vor der Torlinie wegschlagen musste. Ansonsten kam von Wattenscheid nix. RWE gelang dagegen fast alles. Kumbela erkämpft sich sensationell einen verlorenen Ball zurück und über Ronny und Schnetze gelangt der Ball zu Brunnemann, der sich trocken mit dem 4:0 bedankt. Das 5:0 von David nach Kühne-Flanke fiel begleitet von fröhlichem Liedgut ("Die Liebe zu einem Club", "Oh wie ist das schön", "Erfurt ist der geilste Club der Welt"), dass die überglücklichen RWE-Fans nun pausenlos zum Besten gaben. Das 1:5 kurz vor Schluß interessierte keinen mehr. Die Laune war so gut, dass sich auch die örtliche Polizei den Feierlichkeiten nicht entziehen wollte und kurz vor Schluß einige Wachtmeister in den Block entsandte um dem hemmungslosen Abbrennen von Pyrotechnik Einhalt zu gebieten. Als auch noch die Kunde der Niederlage von Münster die Runde machte, war der Nachmittag perfekt. Das unsere Freunde von der Saale trotz einer von uns stürmisch gefeierten 2:3-Niederlage gegen Düsseldorf nun vorübergehend in der 2. Liga spielen... Was soll's. An so einem grandiosen Tag sieht man über einen solch kleinen Schönheitsfleck gerne hinweg.